Nur Verlierer

Kriege können nicht gewonnen werden und sind niemals gerecht ― trotzdem werden sie geführt. Teil 3/3.

Dieser Artikel erschien am 3. März 2023 im Rubikon, heute manova.news

von Angela Mahr

Das erste Opfer in jedem Krieg ist die Wahrheit. Bei diesem einen Opfer bleibt es jedoch nicht. Über viele Jahrhunderte wurde Menschen in allen an Kriegen beteiligten Ländern erzählt, eine bewaffnete Auseinandersetzung sei gut ― vorausgesetzt, das eigene Lager könne diese gewinnen. Übrig blieben Tausende Tote und Traumatisierte, die sich allerdings meist nicht unter denjenigen befanden, die die Kriegstrommeln besonders eifrig gerührt hatten. Selbst die „Gewinner“ aber verlieren oft unermesslich viel: Menschenleben, Material, Wohlstand und den Frieden der Seelen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte man denken können, zumindest wir Deutschen hätten das Spiel durchschaut. Aber offensichtlich hat das historisch bekannte Leiden nicht ausgereicht, um den Effekt des „gebrannten Kindes“ dauerhaft zu erzielen. Wieder wird von Rednerbühnen herab und in Talkshows von notwendigen und gerechten Kriegen geschwafelt. Kann ein Krieg gewonnen werden? Warum werden Kriege geführt? Wer profitiert vom Krieg? Was ist ein Stellvertreterkrieg? ― Darum geht es in der folgenden Rückschau auf die Kriege in Angola und in Afghanistan sowie auf einige geostrategische Überlegungen, die bis heute aktuell sind. Teil 3/ 3.

Im zweiten Teil werfe ich einen Blick auf das Afghanistan der 1960er-Jahre, die Anfänge des Stellvertreterkriegs in Afghanistan und die Rolle der Central Intelligence Agency (CIA) darin, sowie die langfristigen Folgen aus alldem bis zur heutigen Situation, in welcher die Taliban wieder die Macht im Land ergriffen haben.

Geostrategie nach RAND und Stratfor

Der ehemalige CIA-Agent Robert Steele nennt die Bombenangriffe im Norden Russlands in den 1980er-Jahren im Arte-Interview „schlechte Politik“ und „dummes Cowboygehabe“. Der CIA-Whistleblower John Stockwell erinnert sich in „Auf der Suche nach Feinden: Wie die CIA Angola verloren hat“ (1), dass ein Agent ohne Operation nicht befördert wird und dass man deshalb insgesamt dazu neigt, möglichst aktiv zu sein, ungeachtet der destruktiven Folgen für die Bevölkerung der beteiligten Nationen. Dummheit, Karriere und mittelalterliche Borniertheit als Motivation? Das mag zutreffend sein, aber ist das alles? Und warum wird es finanziert?

Die folgenden Auszüge aus den jeweiligen Strategiepapieren beziehungsweise Vorträgen lasse ich unkommentiert, um eine Färbung meinerseits oder eine „missverständliche Darstellung“, wie RAND in seiner Anmerkung seit März 2022 befürchtet, zu vermeiden. Meine Schlussfolgerung aus der gesamten Abhandlung, die von mir in Teil eins und zwei beschriebenen Kriege inbegriffen, findet sich dann im letzten Kapitel.

Council on Global Affairs und George Friedman (2015)

George Friedman, der Gründer des Chicago Council on Global Affairs sowie von Stratfor (Strategic Forecasting, Inc), einem privaten Informationsdienst für Geopolitik und Sicherheitsfragen, präsentierte 2015 eine Diskussion über eine sich abzeichnende Krise in Europa. Im Fragenteil gegen Ende des Mitschnitts ermöglicht Friedman erstaunliche Einblicke in die Logik imperialer Politik. Einige Passagen daraus seien im Folgenden übersetzt und ansonsten unverändert wiedergegeben.

„Vor zehn Tagen war der Oberbefehlshaber der US-Army in Europa, General Ben Hodges, zu Besuch in der Ukraine. Er kündigte dort an, dass die US-Ausbilder demnächst offiziell in die Ukraine kommen werden, und nicht nur inoffiziell. Er hat dort tatsächlich Orden an die ukrainischen Kämpfer verteilt (…), um zu zeigen, dass die ukrainische Armee seine Armee ist. Dann ging er weg und verkündete in den baltischen Staaten, dass die Vereinigten Staaten Panzer, Artillerie und andere Militärausrüstung in den baltischen Staaten Rumänien, Polen, und Bulgarien bereitstellen würden. (…) Und gestern haben die Vereinigten Staaten angekündigt, dass sie vorhaben, Waffen in die Ukraine zu liefern. Das wurde in der Nacht wieder dementiert, aber sie tun das. Die Waffen werden geliefert.“

„Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts im ersten und dem zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen könnte. Wir müssen sicherstellen, dass dies nicht geschieht“.

„Russland glaubt, die USA beabsichtigen, die Russische Föderation zu zerschlagen. Ich denke, wie Peter Lorre es ausdrückte: ‚Wir wollen dich nicht töten, wir wollen dir nur ein bisschen wehtun.‘ Wie auch immer, wir sind zurück im alten Spiel.“

„Die Vereinigten Staaten haben ein fundamentales Interesse. Sie kontrollieren alle Ozeane der Welt. Keine andere Macht hat das jemals getan. Aus diesem Grund können wir in andere Länder eindringen, aber sie können es nicht bei uns, das ist eine schöne Sache. Die Aufrechterhaltung über die Kontrolle der Ozeane und des Weltalls ist die Grundlage unserer Macht. Der beste Weg, eine feindliche Flotte zu besiegen, ist zu verhindern, dass diese gebaut wird. Der Weg, den die Briten gegangen sind, um sicherzustellen, dass keine europäische Macht die Flotte bauen konnte, ist, dass die Europäer einander bekämpften. Die Politik, die ich empfehlen würde, ist die, die Ronald Reagan angewendet hat, in Bezug auf den Iran und den Irak (2). Er finanzierte beide Seiten, sodass sie gegeneinander kämpften und nicht gegen uns. Das war zynisch, bestimmt nicht moralisch, aber es funktionierte. Und das ist der Punkt: Die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, ganz Eurasien zu okkupieren. In dem Moment, wo wir mit dem Stiefel den Boden berühren, ist der demografische Unterschied, dass wir zahlenmäßig völlig unterlegen sind. Wir können eine Armee besiegen. Wir können den Irak nicht besetzen. Die Vorstellung, dass 130.000 Männer ein Land mit 25 Millionen Einwohnern besetzen könnten, ist eine Illusion.“

„Aber wir sind in der Lage, zunächst die gegeneinander kämpfenden Mächte zu unterstützen, politisch, auch etwas wirtschaftlich, militärisch und mit Beratern, damit sie sich auf sich selbst konzentrieren, und im Extremfall das zu tun, was wir in Japan, in Vietnam, im Irak und in Afghanistan getan haben. Verwüstungsangriffe. Ein solcher Störangriff zielt nicht darauf ab, den Feind zu besiegen. Er zielt darauf ab, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Etwas, was wir in jedem dieser Kriege taten. In Afghanistan zum Beispiel haben wir al-Quaida aus dem Gleichgewicht gebracht. Das Problem, das wir haben, da wir jung und dumm sind, ist, dass wir, nachdem wir den Feind aus dem Gleichgewicht gebracht haben, statt zu sagen: Okay, gute Arbeit geleistet. Geht nach Hause. Wir sagen: Nun, das war einfach. Warum bauen wir hier nicht eine Demokratie auf?“

„Die Frage, auf die wir keine Antwort haben, ist: Wie wird Deutschland sich verhalten? Die unbekannte Variable in Europa sind die Deutschen. Während die USA diesen Sicherheitsgürtel aufbauen, nicht in der Ukraine, sondern westlich davon, und die Russen einen Weg suchen, den westlichen Einfluss in der Ukraine zurückzudrängen, wissen wir nicht, wie die deutsche Haltung ausfallen wird. Deutschland befindet sich in einer sehr eigenartigen Lage. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt im Aufsichtsrat von Gazprom. Die Deutschen haben eine sehr komplexe Beziehung zu den Russen. Die Deutschen wissen selber nicht, was sie tun sollen. (…) Die Urangst der USA ist, dass deutsches Kapital und deutsche Technologien sich mit russischen Rohstoffen und russischer Arbeitskraft verbinden. Eine einzigartige Kombination, vor der die USA seit Jahrhunderten eine Höllenangst haben. Wie wird sich das also abspielen? Die USA haben ihre Karten bereits auf den Tisch gelegt. Die Linie zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer. Die russischen Karten lagen schon immer auf dem Tisch. Das Mindeste, was sie brauchen, ist eine neutrale Ukraine. Keine prowestliche. Weißrussland ist eine andere Frage. Wer mir nun sagen kann, was die Deutschen tun werden, der kann mir auch sagen, wie die Geschichte der nächsten 20 Jahre aussehen wird. Aber leider haben sich die Deutschen noch nicht entschieden. Und das ist immer ein Problem Deutschlands. Wirtschaftlich sehr mächtig, geopolitisch sehr fragil. Und es weiß nie, wie es beides vereinbaren kann. (…) Denken Sie über die deutsche Frage nach, denn sie kommt jetzt wieder auf uns zu. Dieser Frage müssen wir uns jetzt stellen, und wir wissen nicht, wie. Wir wissen nicht, was die Deutschen jetzt tun werden.“

RAND Corporation (2019)

Auf das Ziel einer langfristigen Schädigung Russlands weist auch das Strategiepapier „Russland überfordern und ins Ungleichgewicht bringen ― Bewertung der Auswirkungen von kostenverursachenden Optionen (3)“ hin. Die RAND Corporation (Research and Development Corporation) ist ein Thinktank in den USA, der gegründet wurde, um die Streitkräfte der USA zu beraten. Die Denkfabrik beschäftigt mehr als 1.880 Angestellte aus 50 verschiedenen Ländern.

Es handelt sich um die offen zugängliche Zusammenfassung eines umfassenderen Berichts, welcher „gewaltfreie, kostenintensive Optionen untersucht, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in allen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bereichen verfolgen könnten, um Russlands Wirtschaft und Streitkräfte sowie das politische Ansehen des Regimes im In- und Ausland zu belasten ― zu überfordern und aus dem Gleichgewicht zu bringen“.

Trotz dieser Schwachstellen und Ängste sei Russland nach wie vor ein mächtiges Land und in einigen Schlüsselbereichen ein gleichwertiger Konkurrent der USA. Nun haben RAND-Forscher eine qualitative Bewertung der „kostenverursachenden Optionen” vorgenommen, die Russland aus dem Gleichgewicht bringen und überfordern könnten, was der Thinktank als unvermeidbaren „Wettbewerb“ bezeichnet:

„Solche kostenverursachenden Optionen könnten Russland neue Lasten aufbürden, die im Idealfall schwerer wiegen als die Lasten, die den Vereinigten Staaten durch die Verfolgung dieser Optionen auferlegt würden.“

Die Arbeit baue auf dem Konzept des langfristigen strategischen Wettbewerbs auf, das während des Kalten Krieges entwickelt wurde und zum Teil auf RAND zurückgehe. Der neue Bericht wende dieses Konzept auf das heutige Russland an. Ein Team von RAND-Experten hat wirtschaftliche, geopolitische, ideologische, informationelle und militärische Optionen entwickelt und sie im Hinblick auf ihre „Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Überforderung Russlands (4) ihren Nutzen sowie ihre Risiken und Kosten“ bewertet.

Eine Aufrüstung der Ukraine im genannten Zusammenhang wird als riskant eingestuft, aber als geopolitische, kostenverursachende Maßnahme offen diskutiert: Die Lieferung tödlicher Waffen für die Ukraine würde Russlands größte Verwundbarkeit von außen ausnutzen.

Eine Aufstockung der US-Militärwaffen und -beratung für die Ukraine müsse jedoch sorgfältig abgewogen werden, um die Kosten für Russland durch die Aufrechterhaltung seines bestehenden Engagements zu erhöhen, ohne einen viel größeren Konflikt zu provozieren, in welchem Russland aufgrund seiner Nähe erhebliche Vorteile hätte.

Die „Ausweitung der Unterstützung für die syrischen Rebellen“ wird als Option genannt, aber nicht empfohlen. Unter anderem sei diese Option „angesichts der Radikalisierung, der Zersplitterung und des Niedergangs der syrischen Opposition möglicherweise gar nicht realisierbar“.

Die Förderung „inländischer Proteste und anderer gewaltfreier Widerstandsformen“ würde sich darauf konzentrieren, „das russische Regime abzulenken oder zu destabilisieren und die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass es im Ausland aggressive Maßnahmen ergreift“. Die Risiken allerdings seien hoch und es sei für westliche Regierungen zudem schwierig, die Häufigkeit oder Intensität regimefeindlicher Aktivitäten in Russland direkt zu erhöhen.

Die „Schwächung des russischen Images im Ausland“ würde sich darauf konzentrieren, „das Ansehen und den Einfluss Russlands zu verringern“. Als weitere mögliche Sanktionen werden der Ausschluss Russlands aus internationalen Foren, die nicht der UNO angehören, und der Boykott von Veranstaltungen wie der Fußballweltmeisterschaft genannt. Diese könnten von westlichen Staaten verhängt werden und würden dem russischen Ansehen schaden. Ungewiss sei jedoch, inwieweit diese Schritte die innere Stabilität Russlands beeinträchtigen würden.

Die Luft- und Raumfahrt betreffend kommt man zu dem Schluss, dass „die Umstationierung von Bombern in Reichweite wichtiger strategischer Ziele Russlands“ eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit habe und „sicherlich Moskaus Aufmerksamkeit erregen und russische Ängste schüren“ würde. Die Kosten und Risiken dieser Option seien gering, „solange die Bomber außerhalb der Reichweite der meisten russischen ballistischen und bodengestützten Marschflugkörper stationiert“ seien.

Die Stationierung „zusätzlicher taktischer Nuklearwaffen an Standorten in Europa und Asien“ könne „die Ängste Russlands so weit schüren, dass es seine Investitionen in seine Luftverteidigung deutlich erhöht“. In Verbindung mit der Bomberoption bestehe daher„eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit“, die Stationierung weiterer solcher Waffen jedoch könne „Moskau zu Reaktionen veranlassen, die den Interessen der USA und ihrer Verbündeten zuwiderlaufen“.

Das Thema Wettrüsten ist im Bericht von großer Bedeutung. So bestünde die Möglichkeit, „Russland dazu zu bringen, sich im strategischen Wettbewerb zu vergrößern“. Die Entwicklung „neuer, schlecht beobachtbarer Langstreckenbomber“ oder die „einfache Aufstockung bereits verfügbarer oder programmierter Typen (B-2 und B-21)“ sei für Moskau ebenso besorgniserregend wie die Entwicklung „autonomer oder ferngesteuerter Kampfflugzeuge und deren Produktion in großen Stückzahlen“. Alle Optionen würden Moskau wahrscheinlich dazu veranlassen, immer mehr Ressourcen darauf zu verwenden, seine Kommando- und Kontrollsysteme robuster, mobiler und redundanter zu machen.

Die Vereinigten Staaten könnten Russland „zu einem kostspieligen Wettrüsten anstacheln, indem sie aus dem System der nuklearen Rüstungskontrolle ausbrechen“, unwahrscheinlich sei aber, dass die Vorteile die Kosten für die USA aufwiegen.

Die finanziellen Kosten eines nuklearen Wettrüstens wären für die Vereinigten Staaten „wahrscheinlich genauso hoch wie für Russland, vielleicht sogar höher“. Die schwerwiegenderen Kosten wären jedoch politischer und strategischer Natur. Eine stärkere Präsenz der Seestreitkräfte der USA und ihrer Verbündeten in Russlands Operationsgebieten“ wird in Erwägung gezogen aber nicht empfohlen. Diese könnte Russland „dazu zwingen, seine Investitionen in die Marine zu erhöhen“, es sei jedoch „unwahrscheinlich, dass Russland dazu gezwungen oder verleitet werden könnte, dies zu tun“.

Eine „Aufstockung der US-Streitkräfte in Europa, die Verstärkung der Bodenfähigkeiten der europäischen NATO-Mitglieder“ sowie die „Stationierung einer großen Zahl von NATO-Streitkräften an der russischen Grenze“ hätten wahrscheinlich nur „begrenzte Auswirkungen auf die Überforderung Russlands“. Eine Abschreckung wäre erreicht, die Risiken aber seien unterschiedlich. Eine „allgemeine Erhöhung der Fähigkeiten der NATO-Bodentruppen in Europa ― einschließlich (…) der Erhöhung der Zahl der an traditionellen Standorten in Westeuropa stationierten US-Streitkräfte“ sei mit begrenzten Risiken verbunden. „Groß angelegte Verlegungen an den Grenzen Russlands würden jedoch das Risiko eines Konflikts mit Russland erhöhen, insbesondere wenn sie als Herausforderung für Russlands Position in der Ostukraine, in Belarus oder im Kaukasus empfunden würden“.

Eine Erhöhung des Umfangs und der Häufigkeit von NATO-Übungen in Europa könne „dazu beitragen, die Einsatzbereitschaft und die Abschreckung zu verbessern“, aber es sei unwahrscheinlich, dass dies eine „kostspielige russische Reaktion auslösen“ werde, es sei denn, die Übungen senden auch riskante Signale aus. Groß angelegte NATO-Übungen, die in der Nähe der russischen Grenzen abgehalten würden, sowie Übungen, „bei denen Gegenangriffe oder offensive Szenarien geprobt“ würden, könnten als Zeichen der Absicht und der Bereitschaft verstanden werden, „offensive Operationen in Betracht zu ziehen“. So könne beispielsweise eine „NATO-Übung, bei der ein Gegenangriff zur Rückeroberung von NATO-Gebieten simuliert“ werde, welche „an vorrückende russische Streitkräfte verloren gegangen“ seien, wie eine Übung zur „Vorbereitung einer Invasion in ein russisches Gebiet aussehen, zum Beispiel Kaliningrad.

RAND zufolge lägen die effektivsten Wege zur Überforderung Russlands wahrscheinlich außerhalb des militärischen Bereichs, denn:

„Russland strebt keine militärische Parität mit den Vereinigten Staaten an und könnte sich daher einfach dafür entscheiden, auf einige militärische Maßnahmen der USA (zum Beispiel Verlagerung der Marinepräsenz) nicht zu reagieren; andere militärische Maßnahmen der USA (zum Beispiel Aufstellung von Streitkräften in größerer Nähe zu Russland) könnten sich letztlich für die Vereinigten Staaten als kostspieliger erweisen als für Russland.“

Dennoch schließt der RAND-Berichts mit „mindestens drei wichtige Implikationen für die Armee“, sprich ein intensives Aufrüsten und Ausweiten der militärischen Aktivitäten. Die „Stärkung der amerikanischen Abschreckungsposition in Europa“ sowie die „Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der USA“ müssen RAND zufolge „möglicherweise Hand in Hand mit einer Überforderung Russlands gehen“, um das Risiko einer Eskalation der Spannungen mit Russland zu vermeiden, so die Schlussfolgerung des Strategiepapiers.

Die meisten der erörterten Optionen seien „in gewisser Weise eskalierend“, und die meisten würden „wahrscheinlich zu einer gewissen russischen Gegenreaktion führen“. Neben den spezifischen Risiken, die mit jeder Option verbunden sind, gebe es also noch ein zusätzliches Risiko, welches mit einem „allgemein verschärften Wettbewerb“ mit einem nuklear bewaffneten Gegner verbunden sei, zu berücksichtigen, sprich eine besonders bewusste Planung sei nötig.

Auch wenn Russland die Kosten dieses verschärften Wettbewerbs weniger leicht tragen werde als die Vereinigten Staaten, werden beide Seiten „nationale Ressourcen für andere Zwecke abzweigen müssen“.

Als persönliche Anmerkung zu den hier zitierten Strategien will ich betonen, dass sie aus meiner Sicht eine imperiale und kriegerische Logik widerspiegeln, welche wir in Deutschland, erst recht als NATO-Verbündete der USA, klar ablehnen müssen. Unsere Regierungspolitik und die meisten kommerziellen Medien allerdings blenden diese Logik und ihre Folgen mit einem inzwischen gefährlichen Ausmaß an Ignoranz und Scheinheiligkeit konsequent aus.

Zudem will ich anmerken, dass sicher nicht nur einzelne Akteure diese Logik verfolgen. In meiner gesamten Abhandlung stehen die jeweiligen genannten Akteure beispielhaft für die sich wiederholenden Strategien und Täuschungsmanöver, Dynamiken und Teufelskreise des Kriegs. Der größte Teil der langfristigen geostrategischen Planung wird vermutlich hinter verschlossenen Türen stattfinden. Um sie aufzudecken, sind wir unter anderem auf mutige Menschen und Whistleblower angewiesen. Gestützt wird Machtpolitik aber immer von uns allen, sofern wir selbst finanziell, beruflich, als Wähler oder anderweitig daran beteiligt sind.

Inzwischen rät sogar die oben zitierte RAND Corporation vom aktuellen Kriegskurs ab. In der Analyse „Einen langen Krieg vermeiden” von 2023 befasst sich der Thinktank mit der Frage, welche Aspekte der zukünftigen Entwicklung des Konflikts „die größten Auswirkungen auf die Interessen der USA haben werden“.

Vor diesem Hintergrund kommen die Autoren zu folgendem Schluss: Die territoriale Kontrolle sei zwar für die Ukraine von enormer Bedeutung, für die USA jedoch nicht der wichtigste Punkt. Ein endlos langer Krieg solle daher genauso abgewendet werden wie eine mögliche Eskalation zu einem Russland-NATO-Krieg oder gar der Einsatz russischer Atomwaffen. Dies habe im Sinne der Interessen der Vereinigten Staaten höhere Priorität als das Schaffen von deutlich mehr ukrainischer territorialer Kontrolle. Stattdessen könne ein Prozess in Gang gesetzt werden, der „diesen Krieg auf dem Verhandlungswege in einem Zeitrahmen beenden könnte, der den Interessen der USA entspricht“. Die Alternative sei ein langer Krieg, der die Vereinigten Staaten, die Ukraine und den Rest der Welt vor große Herausforderungen stelle.

Schlussgedanke

Jeder Krieg zieht Gewalt an wie der Magnet das Eisen. Deshalb gibt es keinen guten Krieg.
Krieg erzeugt mehr Krieg. Gewalt erzeugt mehr Gewalt. In der heutigen Zeit befinden wir uns in einem Ausmaß an vertraglicher Verstrickung und gleichzeitiger Aufrüstung, welches jeden Krieg vollkommen unkalkulierbar werden lässt. In einer Welt der billionenschwer aufgerüsteten Verteidigungsbündnisse kann niemand mehr die Folgen absehen. Ein Feuer im Regenwald zu legen, ist gefährlich. Ein Feuer im trockenen Busch zu legen, ist zudem auch noch verrückt. In der heutigen Zeit sehen wir uns einem Ausmaß an Hebelwirkung und unvorhersehbaren Auswirkungen gegenüber, welche jede Entscheidung für die Einmischung in einen Krieg nicht nur moralisch falsch macht, sondern zudem auch unkalkulierbar und gewissenlos der Bevölkerung gegenüber, um nicht zu sagen, wahnsinnig.

Ein Krieg kann nicht gewonnen werden. Die wenigsten Kriege werden überhaupt militärisch entschieden, und falls doch, so ist das Ausmaß der Zerstörung dann bereits unermesslich. Von „Gewinnen“ kann jedenfalls nur für einige wenige die Rede sein.

Jeder Krieg endet schließlich am Verhandlungstisch. Kein Krieg dient der Bevölkerung. Die Bevölkerung der beteiligten Nationen sind die Leidtragenden. Der Irrtum, an Waffen und Krieg als Lösung zu glauben, wirkt wie ein Magnet auf die toxische Legierung von Lüge und Gewalt.

Es gibt Strategen, es gibt Angst und Größenwahn in der Welt, Ideologien, sich wandelnde Machtverhältnisse und Kriegsgewinnler. Freiheit und Sicherheit aber gehören zusammen. Es gibt keine absolute Sicherheit. Die wird es nie geben. Wer die Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgibt, der verliert beides.

Mit Nachbarn klarzukommen, bedeutet ein gegenseitiges Achten der jeweiligen Interessen. Einen Nachbarn anzugreifen, weil einem dessen Werte nicht passen, führt zu mehr Gewalt. Geopolitik bedeutet also eine Politik, die sich an die geologischen Verhältnisse anpasst, nicht umgekehrt.

Das UNO-Gewaltverbot kennt zwei Ausnahmen, die Selbstverteidigung und das Mandat der UN.
Wir blicken jedoch zurück auf eine traurige Serie von völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, zur großen Mehrheit initiiert vom Westen. 2001 wurde erstmals der NATO-Bündnisfall ausgerufen, aufgrund der Terroranschläge vom 11. September. Das war in sich bereits vollkommen haltlos, da kein Angriff von staatlicher Seite auf einen anderen Staat stattgefunden hatte. Zudem sind die Terroranschläge vom 11. September bis heute nicht aufgeklärt.

Meiner Meinung nach bedeutet, allgemein gesprochen, eine Einmischung aufgrund von Zwängen durch Bündnisse an sich bereits keine Selbstverteidigung mehr, sondern vielmehr den Eintritt in eine sich vergrößernde Gewaltspirale. Selbstverteidigung und Zwang passen aus meiner Sicht grundsätzlich nicht zusammen. Schwüre oder Verträge gegenüber einer Person, einem Arbeitgeber oder einem Bündnis, deren rechtschaffene Weiterentwicklung ich andererseits ja nicht absichern kann, dienen dann eventuell auch nicht mehr dem Frieden und dem Gemeinwohl. Das zu realisieren mag Zukunftsmusik sein, doch es ist meine Hoffnung. Aus derlei Zwängen sind in der Vergangenheit viel Leid entstanden sowie massive Probleme für rechtschaffene Whistleblower wie beispielsweise Edward Snowden. Für die Gegenwart bleibt mir, klar für einen Austritt aus der NATO zu stehen und zu sprechen.

Ich halte es zudem für wertvoll und unumgänglich, die Motivation und die Ursache für Kriege in der Tiefe zu analysieren. Der Grund dafür ist, dass wir dadurch Krieg in Zukunft verhindern sowie diplomatische Lösungen finden können. Ohne eine korrekte Analyse zu den Ursachen eines Konflikts kann dieser auch schlecht gelöst werden. Die Motivationen für kriegerische Handlungen sind verschieden, man denke etwa an Jonas Savimbi in Angola oder an die Perspektive eines Robert Steele in Bezug auf Afghanistan, nur als Beispiele. Die unterschiedlichen Ursachen für die kriegerische Handlung müssen unbedingt analysiert werden. Es darf auch niemand dafür diffamiert werden, weil er oder sie das tut.

Wir mögen die Motivation hinter einer kriegerischen Handlung unterschiedlich bewerten. Das müssen wir sogar, um Ursachen und Lösungen zu finden. Analyse, Ursachenforschung und Bewertung von Aggression und Krieg muss weiterhin von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Wir sollten uns aber nicht dazu hinreißen lassen, einen Krieg als guten Krieg zu bezeichnen. Am allerwenigsten dürfen wir uns selbst in einen von unseren Politikern zur Solidarität hochstilisierten, brandgefährlichen, endlosen und zerstörerischen Krieg ziehen lassen, dessen Ursachen wir möglicherweise noch nicht einmal verstanden haben.

Heutzutage braucht es Mut, sich gegen Waffenlieferungen und gegen Krieg auszusprechen. Das ist für eine Gesellschaft ein eigentlich unvorstellbarer Zustand. Ich selbst lehne die völkerrechtswidrige Aggression der aktuell beteiligten Akteure ab. Das betrifft sowohl die Invasion in die Ukraine von Wladimir Putin im Februar 2022 als auch den von den USA orchestrierten Putsch in der Ukraine 2014. Auch den darauf folgenden, achtjährigen blutigen Bürgerkrieg gegen die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine lehne ich ab. Meine Argumente habe ich bereits im Mai 2022 in „Die unerwünschte Souveränität“ dargelegt. Wir brauchen eine ehrliche Analyse des Zeitgeschehens, und wir brauchen eine ehrliche und konsequente Entscheidung für den Frieden.

„There’s no such thing as a winnable war“, singt Sting 1985 in seinem Lied Russians zum Kalten Krieg, „it’s a lie we don’t believe anymore“, auf Deutsch: „So etwas wie einen Krieg, der gewonnen werden kann, gibt es nicht. Es ist eine Lüge, die wir nicht mehr glauben.“ Dieser Auffassung schließe ich mich an.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Originaltitel: In Search of Enemies: How the CIA lost Angola, Futura Verlag, 1979.
(2) Iran-Irak-Krieg 1980 bis 1988.
(3) Im Original: „Overextending and Unbalancing Russia ― Assessing the Impact of Cost-Imposing Options“.
(4) Im Original: extending Russia, also wörtlich „Russland ausdehnen, erweitern“. Das anfangs in diesem Kontext genutzte „overextending Russia“, also „überfordern“, wird im restlichen Text durch „extending“ abgelöst. Ich bleibe in meiner Übersetzung bei dem Wort „überfordern“.

Angela

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