Veröffentlicht am von Angela Mahr
Das Schweigen brechen (Teil2)
Dieser Artikel erschien am 7. Dezember 2021 im Rubikon.
Ein Manager des Schweizer Rückversicherungsunternehmens „Swiss Re“ brach im Zuge von 9/11 mit dem System und bewies, dass ein Ausstieg möglich ist. Teil 2/2.
von Angela Mahr
Hier der Link zum ersten Teil. Im zweiten Teil reflektiere ich die Frage nach Ursache und Wirkung bei global angelegten unwahren Narrativen sowie die Rolle der Whistleblower. Es geht um Brüche im Lebenslauf, um den Mut zum Neubeginn und um die Verantwortung einer ganzen Gesellschaft.
20 Jahre Aufklärung
9/11 ist ein Verbrechen, das bis heute nicht aufgeklärt ist. In Anbetracht der geopolitischen Bedeutung und Reichweite von 9/11 muss die Frage nach einem möglichen Versicherungsbetrug als Nebenschauplatz betrachtet werden, wenn auch durchaus von Bedeutung für die weitere Aufklärung der Anschläge. Im Vordergrund stehen der Patriot Act, die erweiterte Überwachung, der Ausbau von Kontrolle und Macht sowie an erster Stelle der seit zwanzig Jahren währende „Krieg gegen den Terror“ in überwiegend rohstoffreichen Ländern, in welchem bereits weit über eine Million Menschen ihr Leben verloren.
Mehr als 3000 Architekten und Ingenieure fordern öffentlich eine Neuuntersuchung der Terroranschläge. Mehr als 2.700 US-Militärveteranen unterzeichneten ebenfalls die Petition der Architects & Engineers for 9/11 Truth, in der eine neue Untersuchung der Zerstörung der drei Türme des World Trade Centers am 11. September 2001 gefordert wird. „Die Beweise für eine kontrollierte Sprengung sind in der Tat so überzeugend, dass wir Veteranen uns gezwungen sehen, gemeinsam nach der vollen Wahrheit darüber zu suchen, wie diese Sprengungen durchgeführt wurden — egal, wohin uns diese Wahrheit auch führen mag“, fasst Roland Roland Angle, bei den Special Forces von 1964 bis 1970, zusammen.
Wir alle wurden zu 9/11 belogen, das ist spätestens seit Leroy Hulseys vierjähriger Studie zu WTC7 an der Alaska Fairbanks University von 2019 belegt: Die von offizieller Seite als ursächlich betrachteten Bürobrände im Gebäude 7 konnten seinen freien Fall über zwei Sekunden nicht verursacht haben. Als Erklärung dafür bleibt nur Sprengung.
„Wenn ich mir die Kommentare der Unterzeichner unserer Petition durchlese, stelle ich fest, dass immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden“, berichtet Roland Angle: „Wofür haben wir gekämpft und geopfert? Wurden wir in Bezug auf 9/11 belogen? Wenn ja, warum?“ Die Anschläge wurden benutzt, „um die Aushöhlung der verfassungsmäßigen Rechte in Amerika zu rechtfertigen“, stellt Peter Brand fest, ehemaliger Feuerleitoffizier, Naval Weapons Laboratory, Virginia.
In diesem Text geht es nun darum, aus einer neuen Perspektive Licht auf dieses Geschehen zu werfen und so das Ausmaß an Lüge und Versteckspiel aufzuzeigen. Damit verbunden stellt sich auch die Frage: Wann beginnt unsere eigene unfreiwillige oder sogar unbewusste Verwicklung in unwahre Narrative? Was können wir daraus für die Zukunft lernen?
Ein großes, komplexes Lügengebäude muss logischerweise viele Mitwisser haben. Allerdings bedeutet das nicht zugleich, dass jeder alles weiß. Von einigen wirklich eiskalten Drahtziehern abgesehen, wissen andere je nach Beteiligung nur das Nötigste oder vielleicht nur gewisse Details.
Der Whistleblower Edward Snowden, der seit 2013 über globale Überwachung aufklärt, beschreibt eine solche Arbeitsweise:
„Bisher hatte ich unter dem Need-to-know-Prinzip gearbeitet, das die Einsicht in geheime Informationen nur bei Bedarf erlaubt. Meine Aufgaben waren auf enge Bereiche begrenzt gewesen und so spezialisiert, dass ich unmöglich das übergeordnete Ziel meiner Arbeit hatte erkennen können“ (1).
Als 26-Jähriger war Snowden offiziell bei Dell angestellt, arbeitete aber für den US-Auslandsgeheimdienst National Security Agency (NSA). Solche Arbeitsverträge dienten als Tarnung für ihn und seine Kollegen (2). Als Spezialist an Details zu arbeiten, ohne den Sinn des großen Ganzen zu kennen und gut zu heißen, kann generell nach hinten los gehen. Bei der Geheimhaltung komplexer Vorgänge handelt es sich dann um ein ungutes Zusammenspiel aus Macht, Lügen und Angst.
„Wir dachten an diese Dinge nicht im Sinne von Lügen“
Wenn so viele Menschen von einer Lüge wissen, müsste das Ganze doch auffliegen und bekannt werden, denkt man vielleicht. Dabei dürfen wir nicht vergessen, wie gut wir Menschen darin sind, Dinge zu verdrängen, die unser gewohntes Leben in Frage stellen. Tatsächlich scheint es uns Menschen möglich zu sein, in mehreren Wertesystemen parallel zu leben, welche sich bei näherer Betrachtung eigentlich ausschließen. Ein Beispiel dafür ist die treffende Erklärung zur Funktionsweise von Lügen des Whistleblowers und Buchautors John Stockwell, ehemals Case Officer des US-Auslandsgeheimdienstes CIA. Er berichtet darin über die Zeit kurz nach dem Vietnamkrieg, während des Church Committees 1975, sowie über Lügen, Propaganda und die damalige Rolle der CIA im Stellvertreterkrieg in Angola:
„Gewöhnlich lügen Case Officers alle Nicht-CIA-Bekannten an, während sie ihre Tarngeschichten ausleben: Sie lügen Agenten an, die sie rekrutieren; Kollegen im Außenministerium und Botschafter über kontroverse Operationen; und sie lügen auf einer bestimmten Ebene den Kongress der Vereinigten Staaten an, um diese Operationen zu vertuschen. Bei der Operation in Angola haben wir uns nun gegenseitig belogen, sogar während wir Telegramme lasen und schrieben, die diesen Lügen direkt widersprachen. Tatsächlich gab es mehrere Ebenen der Unwahrheit, die gleichzeitig funktionierten, verschiedene Geschichten für verschiedene Aspekte unserer Aktivitäten, eine für die Arbeitsgruppen, eine andere für ahnungslose Mitarbeiter des Außenministeriums, noch eine andere für den US-Kongress.
An diesem Punkt in unserer Karriere, nach Jahren des Rollenspiels von Identitäten, würden wir nicht mehr ins Wanken geraten, wenn wir von einer Geschichte zur nächsten wechselten. In ein und demselben Gespräch konnten wir ein Training erwähnen, das wir in Angola durchführten, uns an ein Arbeitsgruppenpapier über ‚Nachrichtensammler’ erinnern und uns selbst daran erinnern, dass das Außenministerium gegenüber der Presse leugnen musste, dass die USA in Angola waren (Hervorgehoben durch die Autorin). Bezeichnenderweise dachten wir nicht an diese Dinge im Sinne von Lügen — Potts dachte nicht an sich selbst als Lügner, als er der Arbeitsgruppe eine ‚Parteilinie’ gab, und Colby hätte vielleicht einen Lügendetektortest bestanden, als er dem Senat im Wesentlichen falsche Briefings gab. (3)(4)(5)“
Der Begriff Tiefenstaat bedeutet „keine definierte Organisation mit Mitgliederliste und einem Big Boss an der Spitze“, erklärt der Journalist Paul Schreyer, „sondern ein eng verflochtenes Milieu aus Reichen, Regierungsbeamten, Geheimdienstlern und Militärs, die sich informell organisieren und unabhängig von Wahlergebnissen und Parlamenten versuchen, den Einfluss der eigenen Kreise zu sichern. (6)“
In einer ähnlich undurchsichtigen Situation wie nach den Terroranschlägen von 2001 befinden wir uns heute. Auf 9/11 folgte der „Krieg gegen den Terror“ gegen einen nicht klar einzugrenzenden und auszumachenden Feind, den man folglich auch nicht insgesamt „besiegen“ kann.
„Wir sind im Krieg“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron in einer TV-Ansprache am 16. März 2020 über die Coronakrise. Er meinte damit einen Krieg gegen ein Virus, ebenfalls ein wie oben beschrieben nicht klar einzugrenzender und auszumachender Feind, den man nicht insgesamt „besiegen“ kann. Krieg ist niemals eine Lösung. Aber in diesen beiden Fällen geht es um einen weiteren Punkt:
Man kann weder Macht und Kontrolle über alle „Terroristen“ noch über alle Corona-Viren der Erde erlangen, und man kann sie auch nicht endgültig vernichten. Letzteres käme, theoretisch betrachtet, dem Ende der Menschheit oder des irdischen Lebens gleich.
Es handelt sich hier um Narrative, die beliebig lange herangezogen und ausgenutzt werden können, um global Macht und Kontrolle auszubauen.
Seit dem 11. September 2001, und noch einmal verschärft seit der Coronakrise, haben wir es mit einer massiven Ausweitung der Überwachung zu tun. In beiden Fällen erleben wir eine medial geschürte Angst, vergleichbar im Ausmaß und groß angelegt wie nie zuvor. Damit einher geht jeweils auch die Unterdrückung des wissenschaftlichen Diskurses, die Diffamierung kritischer Stimmen in Wissenschaft, Politik, Medien und Kultur, sowie letztlich die versuchte Ausgrenzung aller Andersdenkenden aus dem Debattenraum. Der globale Abbau von Grundrechten seit der Coronakrise allerdings ist beispiellos.
In jedem Fall können wir erkennen, dass nicht alles stimmt, was uns erzählt wird, und dass einige Wenige in großem Umfang profitieren. Wir erleben es vielleicht selbst live mit in einer Partei- (7) , Team- oder Redaktionssitzung. Die Frage ist dann, ob wir die uns bekannten Details von Verdrehung und Vertuschung als relevant für die Öffentlichkeit betrachten oder ob wir sie unter den Teppich kehren.
Ein globales Narrativ und der damit verbundene Machtmissbrauch können nicht von wenigen Akteuren getragen und durchgezogen werden. Deshalb geht es auch in unserer heutigen Situation aus meiner Sicht weniger um Schuldzuweisungen, sondern vielmehr um Selbstverantwortung. Als Freibrief für korruptes Handeln an den einflussreichsten Schaltstellen ist diese Aussage freilich nicht zu verstehen.
Eric Alan Westacott wandte sich über all die Jahre mit seinem Wissen an verschiedene Stellen, die Federal Police, Interpol, an das FBI und die CIA, an Bundesräte und Präsidenten (8).
„Mein Wunsch wäre, dass die Angehörigen der Verstorbenen mal verstehen können, was da eigentlich geschehen ist. Und die Schuldigen zu Rechenschaft kommen. (…) Dass die Leute dann abschließen können und wissen: Aha, das ist so und so passiert. Aus diesen Hintergründen heraus. Und das einfach mal nach zwanzig Jahren zur Ruhe kommen kann“ (9).
Schweigepflicht? Im Vorfeld der 9/11-Perspectives
Westacott fiel es nicht leicht, über das Erlebte zu sprechen.
„Es braucht sehr viel Mut, diesen Schritt wagen zu können, es sind ja fast 20 Jahre her, und zehn Jahre lang war ich wirklich in der Wildnis. […] Ich verließ alles, was ich hatte, (ließ) Frau, Familie, gutes Einkommen hinter mir. Und ich dachte, ja, irgendwann mal kann ich schon darüber reden. Und es ging jetzt 20 Jahre, bis ich jetzt darüber reden kann. Und es ist wie vom Gewissen her. Ich muss das machen. Obwohl es Gesetze gibt, und ich bin ein Mensch, der sich an das Rechtssystem gerne halten möchte, aber […] weil das Gewissen sagt: Es geht nicht mehr. Menschen sind ermordet worden. Gestorben. Und es ist etwas geschehen, wo ich vielleicht Wissen habe, das beifügen könnte, Aufklärung, (um) an die Wahrheit zu kommen (10)“
Westacott arrangierte 2019 zunächst das 9/11-Event Perspectives in Zürich, auch um bei dieser Gelegenheit seine eigene Geschichte öffentlich zu machen.
„Aber ich hatte dann einen (…) Anwalt gefragt aus Amerika, und der hat (mir) abgeraten. Er hat gesagt: Eric, […] du hast diese Schweigepflicht unterschrieben, du hast den Vertrag, du darfst nichts sagen über deine Erfahrungen (…). Wenn du das jetzt machst an diesem Event, und wenn es in ein paar Jahren einen Gerichtsfall geben würde in Amerika, wird man dich nicht anhören, weil du das Gesetz schon gebrochen hast. (…) Es kann nur durch einen Richter passieren, dass du die Schweigepflicht brichst. Er kann sagen: Sag mir, was du weißt. Und ich entscheide dann, ob das raus darf oder nicht. Und dann kommt die Regierung und sagt auch noch, ob das raus darf oder nicht. So läuft das ab. Und in der Schweiz wahrscheinlich nicht anders. (11)“
Westacott zog sich daraufhin vollständig von dem Event zurück und strich sich von der Sprecherliste (12).
Wenn wir diese Logik zu Ende denken: Wo führt das hin? Es handelt sich letztlich um eine Frage nach unseren Werten. Ich erinnere an dieser Stelle an Katharine Gün, ehemalige Geheimdienstmitarbeiterin Großbritanniens, die zur Abhörwelle von UNO-Mitgliedern im Vorfeld des Irakkriegs 2003 aussagte, oder auch an das Church Comitee von 1975, welches immerhin einige damalige Verbrechen seitens der CIA ans Tageslicht brachte.
Wie viel Schweigepflicht ist letztendlich vertretbar? Was bei kriminellen oder verbrecherischen Handlungen im Privaten nicht funktioniert, etwa der Satz „Das hier geht nur uns beide etwas an, du darfst es niemandem erzählen“, das funktioniert auch nicht in unseren Berufen. Es handelt sich in beiden Fällen um eine Form von Missbrauch. Es darf kein Gesetz geben, welches uns verbietet, ein Verbrechen aufzudecken. Das öffentliche Interesse muss hier vorgehen.
Whistleblower und die Macht der Öffentlichkeit
Hier kommen wir alle ins Spiel, denn mit dem öffentlichen Interesse wächst auch die Macht der Öffentlichkeit. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Geschichte der Whistleblowerin Katharine Gün, die 2003 im britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GHCQ) tätig war. Sie wusste, dass UNO-Mitglieder ausspioniert wurden, um sie anschließend erpressbar zu machen im Hinblick auf ihre Zustimmung zum illegalen Angriffskrieg auf den Irak 2003. Gün ließ den Medien ein streng geheimes Memo der National Security Agency (NSA) dazu zukommen.
„Wie ihr inzwischen wohl wisst, startet die Agency eine Abhörwelle gegen Uno-Sicherheitsratsmitglieder (minus GB und USA natürlich)…“, hieß es darin. Gewünscht wurde dann „die ganze Bandbreite an Informationen, die den US-Politikern einen Vorteil verschaffen könnten, um Ergebnisse zu erzielen, die für die US-Ziele günstig sind, oder um Überraschungen zu vermeiden“.
Das hier zitierte Memo vom 31. Januar 2003 kam von Frank Koza, dem Leiter der Abteilung ‚Regionale Ziele‘ der NSA. Es ist „in seinen Auswirkungen auf die britische Souveränität nach wie vor schockierend“, bemerkt der Guardian 2013 zutreffend. Güns Geschichte ist in vielen Medien zu lesen, denn das verlogene Narrativ zum Irakkrieg ist vor der internationalen Öffentlichkeit nicht mehr haltbar. „Ich hatte selbst recherchiert und war zum Schluss gekommen, dass es keine Rechtfertigung für eine Irakinvasion gab“, erinnert sich Katharine Gün im Spiegel-Interview. „Als ich die Mail las, war für mich eine rote Linie überschritten.“
Nach der Veröffentlichung des Leaks im Observer nahm der Druck innerhalb des GHCQ zu, daher entschied Gün, sich zu stellen. Sie plädierte vor Gericht auf „Unschuldig“, was zugleich das größere Risiko für sie bedeutete: Sie hatte ja gegen eine Verschwiegenheitspflicht, konkret gegen den Official Secrets Act 1989, verstoßen. Güns Anwälte hatten die Herausgabe von Dokumenten gefordert, die erklären sollten, warum die britische Regierung für einen Kriegseinsatz im Irak war. Dies wäre aber für die britische Regierung peinlich geworden. „Damit hätte bewiesen werden können, dass der Einsatz illegal gewesen war. Aus diesem Grund vermutlich ließ die Staatsanwaltschaft die Anklage fallen“. Das Verfahren wurde nach einer halben Stunde eingestellt.
Es wäre damals vor der Öffentlichkeit untragbar gewesen, Gün aufgrund ihres Leaks einzusperren. Sie wurde freigesprochen. Ihre Geschichte wurde unter dem Namen Official Secrets verfilmt und 2019 erstmals gezeigt. „Man weiß ja nie, was man konkret erreichen wird“, erinnert sich Gün im Interview mit Deutschlandfunk 2019.
„Deswegen macht man es nicht in Erwartung eines konkreten Ergebnisses. Im Endeffekt war es aber nun so, dass es keine Resolution gab und keinen Konsens. Die ganze Sache wurde fallengelassen, weil die Informationen zu schockierend waren, als dass man es hätte unterstützen können.“
Es wäre erstrebenswert, ein ähnlich kritisches Bewusstsein in der Öffentlichkeit heute in Bezug auf den mutigen Journalisten und WikiLeaks-Gründer Julian Assange herzustellen, der als politisch Gefangener des Westens in Belmarsh im Gefängnis sitzt. Inzwischen wurden Pläne der CIA bekannt, Assange zu entführen oder zu ermorden. Durch WikiLeaks wurden US-Kriegsberbrechen in Afghanistan und im Irak aufgedeckt. Um das gesellschaftliche Bewusstsein dafür zu schärfen, kann es schon helfen, im persönlichen Umfeld bewusst positiv über Assange zu sprechen, insbesondere wenn wir merken, dass die mediale Hetzjagd auf ihn unser Umfeld zuvor bereits beeinflusst hat.
Die Vorstellung, einige wenige Menschen könnten Macht über sehr viele Menschen gegen deren Willen ausüben, ist aus meiner Sicht falsch.
Macht kann von den Mächtigen ausgeübt und vergrößert werden, wenn wir ihre Strukturen und ihr Handeln unterstützen, sei es aus Angst, sei es aus Unwissenheit oder für Geld. Weder Mitläufertum noch Worst-Case-Szenarien helfen uns im Augenblick weiter. Wir haben die Möglichkeit, stattdessen mittel- und langfristige Ziele ins Auge zu fassen und schrittweise umzusetzen. Dafür müssen wir uns die Frage beantworten: Wie wollen wir leben?
Ein abenteuerlicher Ausstieg
Eric Alan Westacott bereut es nicht, ausgestiegen zu sein. Im Gegenteil. Er sieht darin auch eine ihm gegebene Möglichkeit, etwas ganz Neues zu erfahren, in Verbindung mit der Natur zu leben. „Ich bin auch gottesfroh, dass ich so einen Weg machen durfte. Ich lebte frei, ich lebte im Wald, ich habe ganz viele Kenntnisse gemacht und machen müssen. Und ich möchte mein Wissen auch weitergeben, für Kinder vor allem, für Jugendliche, um ihnen zu zeigen, dass es alternative Wege gibt“, verbunden mit der Natur und damit auch gut für die Gesundheit (13).
Westacott gab seinen gesamten Besitzstand weg, den er sich während seiner Zeit als Account-Manager bei der Swiss Re angehäuft hatte. „Ich verließ meine Karriere und mein gutes Einkommen nach den Ereignissen vom 11. September 2001, (der) Sprengung des World Trade Centers und des Gebäudes 7. Ich hatte prophezeit, dass danach die Wirtschaft in eine totale Krise geraten würde und konnte in dieser Branche, wo so ein riesiger Versicherungsbetrug geduldet wurde, nicht weiterarbeiten.“.
Nach seinem Ausstieg begab Westacott sich auf den Jakobsweg, zunächst alleine, und später, um andere Pilger auf dem Weg zu unterstützen. „2003, mit 40 Jahren, verschenkte er sein Hab und Gut, reiste nach Frankreich und parkte sein Auto“, berichtet das MIS-Magazin. „Auf den Zettel, den er unter die Scheibenwischer klemmte, malte er ein Herz und schrieb: Ich bin auf dem Jakobsweg und weiß nicht, wann ich zurückkomme.“.
Vier Jahre lang lebte der Aussteiger in einem Dorf in Spanien. „Nach (dem) Hinweis eines Rastafaris landete ich dann im Hippie-Aussteiger Dorf Matavenero. Und in 2008, nachdem diese Ära auch zu Ende gegangen war, gab ich wieder alles weg und tauschte es ein für die ganze Ausrüstung, die wir für die Pferde-Karawane brauchten.“ Zu fünft bereiteten sie sich als Team darauf vor, für eine längere Zeit mit Pferden durch Spanien zu ziehen, um als Nomaden ein freies Leben zu führen. Der Abenteurer tauschte zwei Solarpanels für ein Pferd und ein Fohlen ein. „Für die zwei großen Langlade-Batterien meiner Solaranlage im Wohnmobil habe ich ebenfalls zwei Pferde bekommen. Mein Yamaha-Keyboard und meinen Riesendrucker, mit dem ich die Zeitschrift Rainbow-Tribe-News gedruckt hatte, konnte ich ebenfalls für je ein Pferd eintauschen.“ Zusammen mit seinem Hengst war die kleine Herde damit komplett.
Nachdem die Karawane ihre Reise vorzeitig abbrach, bereiste Westacott Afrika. Nun tauschte er seinen Mercedes 2307D für ein Wohnmobil ein, „um von Spanien nach Afrika zu reisen. Wir waren fünf Männer, fünf Frauen, drei Hunde und ein Fahrrad, zusammen unterwegs nach dem Rainbow Gathering im Paradise Valley, Marocco.“ Der Weltreisende wanderte durch die Saharawüste. Später besuchte er die Native Americans in Südamerika und lebte unter ihnen.
Seit 2012 lebt Westacott wieder in der Schweiz und ist als Waldexperte und Waldspielgruppenleiter tätig. 2018 gründete er einen Waldhort und ein Ferienlager in der Schweiz. Seither gestaltet er Aktivitäten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Sinne einer Rückverbindung mit der Natur. Nicht zuletzt dient das auch der Gesundheit und stärkt das Immunsystem.
Vom Fokus auf den Neubeginn
Muss man sein Leben lang ein Whistleblower sein? Offensichtlich nicht, wenn man nicht gerade bei der NSA tätig war. Edward Snowden schrieb das Buch Permanent Record, lebt in Russland im Exil und klärt bis heute zum Thema Überwachung auf. Katharine Gün hatte Schwierigkeiten, einen neuen Job zu bekommen, nachdem sie 2004 freigesprochen wurde, bereut ihre Entscheidung aber nicht: Sie würde unter den gleichen Umständen wie damals wieder genauso handeln. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Türkei. Eric Alan Westacott lebt heute ein naturverbundenes Leben gemäß seinen Werten.
Ich glaube, es ist wichtig Frieden zu schließen mit dem, was war, und dazu gehört es sicher auch, zu verzeihen. Was immer wir erlebt haben, wir müssen es dann zurücklassen und in die Zukunft blicken.
Es hilft nichts, in Bitterkeit daran zu zurückzudenken. Es ist meiner Meinung nach zweitrangig, Schuldige zu bestrafen. Es hilft nicht, vordergründig gegen irgendetwas vorzugehen. Vielmehr hilft es uns aus meiner Sicht weiter, die Dinge zu durchschauen und darüber aufzuklären, damit insgesamt mehr Menschen darüber Bewusstheit erlangen, was auf der Welt geschieht. So können wir unsere Energie und Arbeit in etwas Neues, Besseres investieren. So gelingt Frieden. Und vielleicht ist es auch unser Verzeihen und Neubeginnen, das uns vor möglichen Gefahren oder negativen Verwicklungen mit der Vergangenheit ein Stück weit schützen kann.
Fazit
„Wir müssen die Vorfälle vollständig aufklären. Um es mit den Worten von General George S. Patton zu sagen: ‚Lasst euch nicht von euren Ängsten leiten’“. Das sagt Robert Eloi, ehemals U.S. Ingenieurkorps, über den 11. September.
Es gibt sicher verschiedene Wege, die Wahrheit zu sagen. Manche sagen sie laut, deutlich und öffentlich. Einige sind in lehrenden Berufen tätig und tagtäglich mit dem Thema Wahrheit konfrontiert. Vielleicht wird man bei Transparency International herausgeworfen, weil man gegen Korruption ist und die Wahrheit sagt. Vielleicht wollte man nie eine öffentliche Person werden und wird es trotzdem. Vielleicht findet sich aber auch ein Weg, anonym die Wahrheit zu sagen. Eine andere Möglichkeit ist, viele Mitstreiter zu finden und gemeinsam einen offenen Brief zu unterzeichnen. Eine weitere Möglichkeit könnte sein, sofern das eigene Gewissen nicht mehr verlangt, einfach zu kündigen und dazu zu sagen, dass es aus Gewissensgründen erfolgt ist.
Auch das kann, je mehr Menschen es tun, eine Aussage bedeuten und etwas bewirken. Ich denke, je eher wir die Reißleine ziehen, wenn es in die falsche Richtung geht, desto größer die Chancen, nicht noch mehr in dunkle Machenschaften verwickelt beziehungsweise daran beteiligt zu werden. — Wenn wir pull it! rufen, ist es dafür wahrscheinlich zu spät. — Schlussendlich scheint es mir im Kern am allerwichtigsten, einer Struktur, Organisation oder einem Geschäft, welches kriminelle Dinge unterstützt, die eigene Arbeitskraft und Energie zu entziehen, um diese im Sinne der Liebe und des Gemeinwohls dienend einzusetzen.
„Mein Schlusswort ist: ‚Friede‘“, so beendet Westacott seine Erzählung im Interview. „Und ja, ich meine damit: Nach diesem Interview bin ich wie erlöst. Ich habe meine Mission erfüllt. Mein Gewissen ist rein“ (14).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Snowden, Edward: Permanent Record: Meine Geschichte, Fischer Verlag, 2020, Seite 11 folgende.
(2) Snowden, Edward: Permanent Record: Meine Geschichte, Fischer Verlag, 2020, Seite 11.
(3) Stockwell, John: In Search of Enemies: How the CIA lost Angola, Futura Verlag 1979, Seite 184.
(4) Im Original: „Significantly, we did dot think of these things in terms of lying“.
(5) Im Original: „Potts did not think of himself as lying when he was giving the working group a ‚party line‘“
(6) Podcast: Auszug aus dem 2018 erschienenen Buch „Die Angst der Eliten — Wer fürchtet die Demokratie?“ von Paul Schreyer
(7) http://angela-mahr.de/2020/08/02/berlin-am-29-august-2020-fest-der-freiheit/ (10:21, David Cl. Sieber in Berlin)
(8) https://www.kla.tv/19813 (36:05)
(9) Ebenda, 27:10
(10) Ebenda, 01:18
(11) Ebenda, 30:50
(12) Ebenda, 32:25
(13) Ebenda, 37:50
(14) Ebenda, 36:15
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