Dieser Artikel erschien am 18. Juni 2020 im Rubikon.
Tabuthema Ramstein
Warum wir schlecht informiert sind und wie wir das ändern können
von Angela Mahr
Es gibt sie: Gute Dokus zum Thema Ramstein. Trotzdem gähnt bei dem Thema die Leere in den Sendermediatheken – und die Unwissenheit in der Bevölkerung. Warum ist das so, und wie können wir das ändern? Dieser Text entstand auf der Grundlage einer kurzen Rede von mir anlässlich der „Kündigt Ramstein Air Base Jetzt“ am 30. Mai 2020 vor dem Brandenburger Tor.
Ramstein ist bis heute ein Tabuthema.
Rammstein ist eine Band. Ramstein-Miesenbach ist eine rheinland-pfälzische Stadt im Landkreis Kaiserslautern. Aber Ramstein ist auch der größte US-Militärstützpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten. Wer alles weiß das nicht? Bis heute sind das nicht wenige Menschen in Deutschland.
Über 8.000 US-Soldaten sind auf der Air Base tätig. Insgesamt leben um die 52.000 US-Amerikaner rund um den Stützpunkt (Stand: September 2013). Über die Air Base Ramstein werden über 90 Prozent der Personen- und Frachttransporte der US-Streitkräfte in den Mittleren Osten und nach Afrika abgewickelt. Es handelt sich um ein 1.400 ha großes Gelände, betrieben von der United States Air Force, mit eigenen Shoppingmalls, Bars und Bowling Bahnen. Die Ramstein Air Base ist der größte Militärflugplatz der USA außerhalb der Vereinigten Staaten.
Über Ramstein geschehen Drohnenmorde, also Tötungen aus unbemannten Flugzeugen ohne rechtliche Grundlage. Über Ramstein wird daher Völkerrecht gebrochen.
Als Filmemacherin war ich viel in Asien unterwegs. Es war mir immer ein tiefes inneres Anliegen, dass verschiedene Kulturen voneinander lernen. Dazu aber brauchen wir Frieden! Und wir brauchen die Möglichkeit, über andere Länder neutral zu berichten. Haben wir diese Möglichkeit überhaupt? Und wie präsent ist der Drohnenkrieg in unseren Medien?
Den Drohnenkrieg gibt es seit den Terroranschlägen am 11. September 2001. Die Grundlage für diese Kriegsführung, also die Rechtfertigung dafür, dass wir mit Drohnen Menschen töten, ist der sogenannte „Krieg gegen den Terror“. Die Drohnenmorde geschehen oft auf Verdacht. Manchmal genügt das Aussehen der Opfer für ihr Todesurteil.
Man muss sich das so vorstellen: Es sind oft sehr junge Operator aus Militär und Geheimdienst, die vor einem Bildschirm sitzen, etwas von oben sehen, und dann in etwa so kommunizieren: Sind das Kinder oder Jugendliche? Sind sie in wehrfähigem Alter? Sind die 12 oder 15? Solche Abteilungen der Air Force sind in den USA manchmal unterbesetzt, weil zu wenige Leute diese Jobs machen wollen. Es kann, auch wenn die ausführenden Soldaten nicht vor Ort im Kampfgeschehen sind, für sie zu posttraumatischen Belastungsstörungen und schweren psychischen Problemen führen (1).
Der Mythos, die Drohnen träfen nur eindeutig identifizierte Terroristen und dies präzise, ist also falsch. Es sterben dabei viele Zivilisten, auch Kinder, bis hin zu ganzen Hochzeitsgesellschaften. Technisch ist der Drohnenkrieg nur möglich durch die Satellitenrelaisstation in Ramstein, welche die Steuerung der Drohnen vor Ort ermöglicht. Die USA sind dafür schlichtweg zu weit weg.
Wie nennt man das Töten von Menschen ohne Prozess und Urteil, und wie nennt man das Töten von unschuldigen Zivilisten aus politischen Gründen? Man nennt das Terror! Wie soll Terror durch Terror verschwinden?
Der Whistleblower Brandon Bryant ist ein ehemaliger Drohnenpilot. Er hat nach eigenen Angaben über 1.600 Menschen getötet (2). Ihm wurde schlecht, als er sich diese Zahl bewusst gemacht hat. Er gab mehrere Interviews und machte bekannt, was in Ramstein geschieht.
Es ist doch eigentlich unvorstellbar: Wir sind hier friedliebende Menschen. Wir wollen keinen Krieg. Wenn jemand in unserem Land etwas Kriminelles tut, gibt es einen Prozess, und es gibt bei uns keine Todesstrafe. Aber wir sind durch Ramstein an den Drohnenmorden beteiligt! Was geschieht da in unseren Köpfen?
In unseren Köpfen läuft die Rahmenerzählung vom Krieg gegen den Terror.
Aber wer von uns war in Afghanistan, in Pakistan oder im Jemen? Wir kennen die Menschen dort gar nicht!
Aber wir glauben, dass es dort Terroristen gibt, die den Weltfrieden gefährden. Und wir glauben, wir hätten das Recht, diese Menschen umzubringen. Warum? Weil es immer und immer wieder in den Medien erzählt wird.
Diese Rahmenerzählung ist auch in den Köpfen der Soldaten, die die Drohnen steuern. Brandon Bryant sagt, er dachte damals, „das sind schlechte Menschen, und wir tun gut daran, sie loszuwerden (3).“ Allein das Wort Terrorist gibt also einen Menschen zum Abschuss frei? Wollen wir wirklich Teil von diesem System sein? Jedes unschuldige Drohnenopfer verschärft zudem die Entwicklung von Wut, Hass und die Bereitschaft zur Radikalisierung. Terror erzeugt Terror.
Ab 2013 wurde bei uns die Bedeutung von Ramstein im Drohnenkrieg bekannt. Was bekommen wir seither zu sehen?
Eine Betrachtung der Filmlandschaft in Schlaglichtern:
2014 gab es eine sehr gute Doku in der Sendung Panorama der ARD. Hier erklärte Brandon Bryant ausführlich, dass der Drohnenkrieg ohne Ramstein gar nicht funktionieren würde. Liebe Kollegen von der ARD: Danke dafür!
2015 brachte das ZDF die Doku „Tod aus der Luft“. Es ist ein guter, sehr kritischer Film über den Drohnenkrieg. Die schrecklichen Folgen werden im Film erklärt. Die Rolle von Ramstein, und damit von Deutschland, wird leider nur in einem kurzen Satz erklärt, in insgesamt einer dreiviertel Stunde Zeit. Dazu werden in einer Landkarte die Zielorte eingeblendet, Ramstein aber nicht. Wer kaum Vorwissen dazu hat, wird den einen Satz vermutlich nicht verarbeiten können (4).
Und wie ist es heute? Jedes Jahr protestieren mehrere tausend Menschen friedlich in Ramstein, aber es wird fast nichts darüber im Fernsehen berichtet.
2017 sendete Kabel 1 den Film „Little USA“. Es ist ein fröhlicher Film über den Alltag eines jungen US-Soldaten, der beim Bowlen, beim Shoppen und beim Verladen von Frachten gezeigt wird. Der Drohnenkrieg wird darin gar nicht erwähnt.
Der Kinofilm „National Bird (2017)“ wurde vom NDR mitproduziert. Es ist ein sehr guter, wirklich empfehlenswerter Film. Die Filmemacher begleiten darin Whistleblower aus den USA, die aus dem Drohnenprogramm ausgeschieden sind. Es handelt sich um eine deutsch-amerikanische Koproduktion. Leider wird im Film nicht erklärt, dass der Drohnenkrieg via Ramstein läuft.
Für ARTE sprach Maik Meuser mit Brandon Bryant über Ramstein. Das Video dazu ist leider nicht auffindbar. In der Arte Mediathek heißt es unter der kurzen Notiz lediglich „kein Video verfügbar“.
ARTE sendete die amerikanische Doku „Rise of the Drones“ von 2013, unter dem deutschen Titel „Drohnen – Von der Waffe zur Überwachung“. Im Abspann wird der US Air Force, der US Army, und der US Navy gedankt. Der Film handelt hauptsächlich von Technik. Während 52 Minuten wird die Kritik am Drohnenprogramm in aufgeregten vier Minuten abgehandelt und im Anschluss daran durch ruhige, souverän wirkende Interviewpartner wieder relativiert. Es handelt sich nach meinem Empfinden überwiegend um einen Werbefilm für militärische Drohnen. Im Kommentar des Films heißt es zum Thema Afghanistan im Oktober 2001:
„Seit diesem ersten Einsatz haben Drohnen sich als so effektiv erwiesen, dass die Air Force jetzt mehr Piloten dafür ausbildet als für bemannte Flugzeuge (5).“
Trägt das zur Völkerverständigung bei? Ramstein wird im Film gar nicht erwähnt.
Zusammengefasst bedeutet das: Uns fehlen die Zusammenhänge! Wenn es um Ramstein geht, fehlen die Drohnen. Wenn es um Drohnen geht, dann fehlt Ramstein. In beiden Fällen fehlt der Bezug zum 11. September. Und wenn es um den 11. September geht, fehlt Ramstein, es fehlen die Drohnen, und es fehlt das dritte Gebäude, das an dem Tag eingestürzt ist. Es heißt WTC7. Und es ist kein Flugzeug hineingeflogen.
Wie soll man sich da zurechtfinden?
Wer sich überrascht oder erschlagen fühlt von Zusammenhängen, die er oder sie nicht kannte, darf sich da nichts vorwerfen. Wenn wir immer das konsumieren, was aktuell geschrieben und gesendet wird, kommen wir ins Schleudern. Es ist viel zu viel, und man erfährt über Ramstein so gut wie gar nichts.
Deshalb ist meine Empfehlung, sich gezielt zu informieren. Am besten informieren wir uns in verschiedenen Medien, in den etablierten und in den sogenannten alternativen, allerdings gezielt zu Themen und zu bestimmten Fragestellungen. Darüber hinaus ist es wichtig geworden, sich themenbezogen durch Experten, Whistleblower und Autoren zu informieren, die unabhängig veröffentlichen. Viele von ihnen geben Interviews und schreiben Bücher, manche halten Vorträge oder haben einen eigenen YouTube Kanal.
Dieses Vorgehen ist zu allen wichtigen Themen möglich, sei es zum Thema Frieden, Wirtschaft, Umwelt, soziale Gerechtigkeit, und auch zum Thema Corona. Wir sollten auch mehr und mehr selbst entscheiden, wie wichtig welches Thema ist, und unseren Medienkonsum entsprechend selbst dosieren. Warum sollte jemand anderes als wir selbst darüber bestimmen, was wirklich wichtig ist?
Auch die einseitige Konzentration auf Aktualität führt meiner Meinung nach in die Irre. Viel zu oft wurden schon viel zu lange viel zu verlogene Geschichten erzählt und aufgrund der angeblichen Aktualität bis ins Detail vom Leser oder Zuschauer verinnerlicht. Die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak 2003 sind vielleicht das bekannteste Beispiel dafür.
Viel effektiver ist es doch, gezielt nach Fragestellungen vorzugehen. So findet man auch, das ist meine Erfahrung, in den NATO-nahen Medien noch die interessantesten und kritischsten Artikel, etwa mit Google News. Es gibt ja fast überall ehrliche und mutige Journalisten. Ihre Geschichten landen dann nur meistens nicht auf den Titelseiten.
Eine aktuelle Entwicklung stimmt mich optimistisch: US-Präsident Donald Trump plant offenbar den Abzug von mehreren tausend US-Soldaten aus Deutschland. Der SWR bezieht sich hierzu auf das “Wall Street Journal” und auf Infos aus Regierungskreisen der USA. Demzufolge würden 9.500 der derzeit in Deutschland dauerhaft stationierten 34.500 US-Militärs bis September abgezogen.
Zum Abschluss noch mein Appell an meine Kolleginnen und Kollegen, an alle Journalisten: Wir leben heute in turbulenten und auch revolutionären Zeiten. Es gibt auch heute mutige Menschen, die das Zeitgeschehen kritisch hinterfragen. Lasst sie bitte zu Wort kommen so wie damals Brandon Bryant.
Gebt eure Bedeutung für unsere freie Meinungsbildung, für unsere Demokratie nicht einfach auf!
Liebe Journalisten, ich weiß nicht ob euch das klar ist, die Macht liegt nicht unbedingt immer da, wo die größten Waffen liegen. Es liegt sehr viel Macht bei euch. Die Macht liegt in jedem einzelnen von uns.
Bitte vereinbart eure Macht mit eurem Gewissen. Wir leben alle nicht ewig, und am Ende vom Tag können wir nichts mitnehmen, außer das Ausmaß an Wahrheit und Liebe, das wir gelebt haben.
Quellen: